Interview mit Prof. Dr. Hugo Grote zum Thema Pfändbarkeit von staatlichen Soforthilfen und Arbeitgeberprämien 


Prof. Dr. Hugo Grote
Prof. Dr. Hugo Grote

Über den Autor

Prof. Dr.  Hugo Grote ist Professor an der Hochschule Koblenz am Standort RheinAhrCampus in Remagen. Seit 1990 hält Prof. Grote regelmäßig Vorträge zu insolvenz- und vollstreckungsrechtlichen Themen. Prof. Grote ist Mitherausgeber der Zeitschrift ZInsO sowie Herausgeber und Schriftleiter der Zeitschrift InsbürO.

Sehr geehrter Hr. Prof. Grote sind Prämien, die insbesondere Verkaufskräften und Pflegekräften in Zeiten der Covid-19- Pandemie gezahlt werden, pfändbar?

 

Vor allem Supermarktketten, Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen zahlen ihren Mitarbeitern derzeit Sonderprämien für deren Arbeitseinsatz, die zusätzlich zur üblichen Entlohnung ausgezahlt werden.

 

Diese Prämien sollen meist eine Anerkennung der besonderen Arbeitsleistung in diesen Zeiten sein, aber natürlich auch die erhöhte Gefahr der Ansteckung mit dem gefährlichen Virus ein wenig kompensieren. Der Staat hat schnell reagiert und diese besonderen Prämien steuerfrei gestellt.
Aus § 850a Nr. 3 ZPO ergibt sich, dass diese Prämien im Rahmen der Steuerfreiheit auch unpfändbar sind. Danach sind Erschwerniszulagen unpfändbar.

 

Eine Gesundheitsgefährdung ist ein typischer Fall der Erschwerniszulage. Auch der BGH hatte unlängst in seiner Entscheidung zur Unpfändbarkeit des Nachtarbeitszuschlags die Gesundheitsgefährdung als Grund für die Unpfändbarkeit der Erschwerniszulage angenommen (BGH v. 29.06.2016 – VII ZB 4/15, ZInsO 2016, 1574 ff. = InsbürO 2016, 378 Rn. 13).

 

Die aktuelle Gefahr der Infektion mit dem lebensbedrohlichen Virus Sars-COV-2 ist handgreiflich eine höhere Belastung als die üblicherweise anerkannten Probleme mit Hitze, Lärm, Wasser, Säuren und Staub.

 

Die Leistung ist daher im Rahmen des Üblichen unpfändbar. Für diesen Rahmen kann auf die Steuerfreiheit der Leistung abgestellt werden.

 

Kann der Anspruch auf staatliche Soforthilfen, die zur Überwindung der wirtschaftlichen Probleme gezahlt werden, gepfändet werden?

 

Der Anspruch ist nicht pfändbar und kann entsprechend auch in der Insolvenz nicht zur Masse gezogen werden, weil es an der Übertragbarkeit mangelt. Eine Forderung kann aufgrund ihrer Zweckbindung unpfändbar sein (§ 851 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 399 BGB). In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind seit langem außer der Höchstpersönlichkeit von Ansprüchen die Fälle der Zweckbindung als Pfändungshindernisse anerkannt, die den Gläubigerzugriff gemäß § 851 Abs. 1 ZPO ausschließen, soweit er mit dem zum Rechtsinhalt gehörenden Anspruchszweck unvereinbar wäre. So hat der BGH eine Aufrechnung mit einem Aufbaudarlehen aus einem Soforthilfefonds ebenso abgelehnt, wie die Abtretung eines Anspruchs aufgrund der Hamburger Flutschadenbeihilfe (BGH v. 29. 10. 1969 - I ZR 72/67 = WM 1970, 253 f.). Auch den Anspruch des Schuldners auf Leistungen der Beihilfe hatte der BGH als für die Allgemeinheit unpfändbar angesehen (BGH, Beschl. v. 05.11.2004 - IXa ZB 17/04,WKRS 2004, 23918 = NJW-RR 2005, 720). Sehr deutlich formulierte der BGH das Verbot der Übertragbarkeit einer Forderung in der Entscheidung zur Abtretbarkeit von Leistungen kirchlicher Körperschaften wegen sexuellen Missbrauchs. Eine Forderung, so der BGH, sei dann nicht übertragbar, wenn ein Gläubigerwechsel zwar rechtlich vorstellbar, das Interesse des Schuldners an der Beibehaltung einer bestimmten Gläubigerperson aber besonders schutzwürdig ist (BGH, Beschl. 22.5.14 -IX ZB 72/12, ZInsO 2014, 1213 ff. = InsbürO 2014, 445 Rn. 18).

 

In diese Reihe reiht sich die staatliche Soforthilfe, die gezahlt wird, um die zweifellos immensen wirtschaftlichen Folgen der Pandemie und der sich daraus ergebenden Kontakt- und Gewerbebeschränkungen für die Unternehmen abzumildern, nahtlos ein. Die Corona-Soforthilfen dienen der Existenzsicherung der Unternehmen. Würden sie gepfändet oder abgetreten, so wäre der Zweck der Existenzsicherung nicht mehr zu erreichen.

 

Pfändbar sind die Hilfen damit nur für diejenigen Gläubiger, die von der Zweckbestimmung erfasst sind. Das sind dann die Gläubiger der laufenden Betriebskosten wie Miete, Leasinggebühren und anderer laufender Betriebskosten.

 

Wie verhält es sich mit den Soforthilfen, die auf ein Konto des Schuldners gezahlt wurden?

Da die bescheinigende Stelle nach § 850k Abs. 5 ZPO nicht befugt ist, eine Gutschrift der Soforthilfe als unpfändbar zu bescheinigen, kommt nur ein Antrag des Schuldners auf zusätzliche Freigabe eines unpfändbaren Betrages nach § 850k Abs. 4 ZPO in Betracht. Danach kann das Gericht einen zusätzlichen Betrag auf dem Konto des Schuldners freigeben. Die oben festgestellte Unpfändbarkeit gem. § 851 ZPO ist hierbei zu beachten.

 

 

Sehr geehrter Herr Prof. Grote, wir danken für das Gespräch. 

 

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